Petrus und Paulus

24.6.1997

Auf den Spuren des hl. Paulus erreichen wir auf unserer Pilgerfahrt in Antiochien Spuren, wo sich jene des hl. Paulus mit denen des hl. Petrus verbinden. So möchte ich über diese beiden Apostel zusammen predigen.

Warum wohl diese zwei Apostel immer zusammen gefeiert, immer zusammen genannt werden. Es ist, als ob sie Zwillingsbrüder wären; es ist, als ob der eine nicht ohne den anderen sein könnte, der eine nicht ohne den anderen in seiner Bedeutung verstanden werden könnte.

(Mir ist das in den neun Jahren, die ich zum Studium der Philosophie und Theologie in Rom weilen durfte, immer ganz stark aufgefallen: Vor der Peterskirche in Rom steht das gewaltige Standbild des Petrus und des Paulus. Gleiches ist vor der Paulusbasilika vor den Mauern Roms der Fall. Ebenso vor der Lateranbasilika. Und auf den zwei gewaltigen Siegessäulen, die in Rom aus der Kaiserzeit erhalten geblieben sind, steht auf der einen Säule, der Trajanssäule, die Statue des hl. Petrus, und auf der anderen Säule, der Säule des Kaisers Mark Aurel, die Statue des hl. Paulus. – Auch das fällt auf: Im Bleispiegel der päpstlichen Urkunden erscheinen die beiden Charakterköpfe des hl. Petrus und des hl. Paulus nebeneinander. Und in der Liturgie der Kirche ist es ebenso: Früher wurden sie schon zu Beginn der hl. Messe, im Confiteor zusammen genannt. Heute werden sie wenigstens noch im ersten römischen Kanon und in der Allerheiligenlitanei unmittelbar nacheinander genannt. Paulus hat dabei den scheinbar unberechtigten Vorrang vor Andreas und Jakobus und den anderen Aposteln, um den Platz neben Petrus einzunehmen.)

Warum sind die beiden Apostel im Bewusstsein der Kirche so stark miteinander verbunden? Haben sie denn wirklich die gleiche Bedeutung für die Kirche? Hat nicht doch Petrus den klaren Vorrang vor Paulus, weil doch dem Petrus der Primat, der erste Rang unter den Aposteln vom Meister Jesus Christus zugewiesen worden ist?

Was also ist der Grund, dass beide so vielfach miteinander genannt werden, wo sie doch eigentlich ganz verschiedene Köpfe waren?

1. Ja, schauen wir uns zuerst die Verschiedenheit der beiden Apostel Petrus und Paulus an:

Da fällt einem sofort auf, dass Paulus geistig höher steht als Petrus. Petrus kommt aus einer einfachen Fischerfamilie, aus dem kleinen Ort Bethsaida am See Genezareth. Mit seiner Bildung war es sicher nicht weit her; wahrscheinlich hat er an Schulbildung nichts oder fast nichts mitbekommen. Er hat nur den Fischerberuf erlernt und diesen dann ausgeübt, recht und schlecht mit Erfolgen und Misserfolgen. (Dann hat dieser Simon Petrus wahrscheinlich bald geheiratet. Es wird uns ja von seiner Schwiegermutter berichtet, die Jesus Christus einmal von einem schweren Fieber wunderbar geheilt hat. Sodass sie dann sogleich aufstehen und die Gäste im Haus hausmütterlich bedienen konnte. Die Tochter dieser Schwiegermutter des Petrus, also seine Gemahlin wird dabei nicht genannt; wahrscheinlich ist sie früh gestorben, sodass der Fischer Simon Petrus Witwer war.) Charakterlich war dieser Simon Petrus sicher ein rechtschaffener, schnell begeisterungsfähiger, aber dann doch eher wankelmütiger Mann, der sicher auch sonst noch seine Fehler und Schwächen hatte, sonst wäre er nicht nach dem wunderbaren Fischfang vor Christus in die Knie gesunken mit dem ehrlichen Bekenntnis: „Herr, geh weg von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch, ich bin ein armer Sünder und verdien‘ es ja gar nicht, in deiner Nähe zu weilen!“

Paulus stand geistig sicher viel höher als Petrus. Schon im Elternhaus in Tarsus in Kleinasien wurde Paulus in der Gesetzeskunde gründlich unterwiesen. Auf der Theologischen Hochschule in Jerusalem wurde Paulus zu Füßen des weisen Gamaliel in die höchste religiöse und alttestamentlich-theologische Bildung eingeweiht. Auch mit den griechischen Geistesschätzen war Paulus vertraut. (Im 26. Kapitel der Apostelgeschichte (Apg 26,24) wird berichtet, wie Paulus durch seine Verteidigungsrede auf den Richter Festus den Eindruck eines viel studierten Mannes gemacht hat, weil Festus scherzhaft zu ihm sagte: „Paulus, du bist von Sinnen. Das viele Studieren hat dich von Sinnen gebracht!“)

Auch schriftstellerisch steht Paulus höher als Petrus. Wir besitzen unter den Schriften des NT von Paulus 14 Briefe, die zusammen so lang sind wie die drei Evangelien Mt, Mk und Joh zusammen. – Von Petrus aber gibt es nur 2 Briefe, die an Umfang kaum den 12. Teil der Paulusbriefe ausmachen und auch inhaltlich den Höhenflug und die Tiefe der Paulusbriefe nicht erreichen. Nicht selten durchbrechen bei Paulus die Fülle und Tiefe der Gedanken und die Glut der Sprache alle Gesetze der Sprachregel und der Grammatik.

(Petrus hat diese Weisheit und geistige Tiefe der Paulusbriefe neidlos anerkannt, wenn er in seinem 2. Brief (2 Petr 3,15f) schreibt: „Im Hinblick auf den Tag des Herrn müsst ihr euch Mühe geben, ohne Sünde und ohne Tadel erfunden zu werden...wie auch Paulus, unser geliebter Bruder, gemäß der ihm verliehenen Weisheit euch geschrieben hat, wie überhaupt in allen seinen Briefen, wenn er von diesen Dingen redet, worin allerdings manches schwer Verständliche vorkommt“.)

Wenn Professoren und andere Geistesmänner die Wahl gehabt hätten, Petrus oder Paulus als ersten Papst zu wählen, sie hätten sicher den hl. Paulus gewählt. Aber gerade der Apostel, den die Menschen nach menschlichen Maßstäben nicht gewählt hätten, ist vom Gottmenschen Jesus Christus als erster Inhaber des Primats und als Felsenfundament der Kirche erwählt worden.

Gottes Gedanken sind nicht Menschengedanken und Gottesweisheit entwirft ihre Pläne ohne Rücksicht auf mehr oder weniger Menschenweisheit.

Nicht zu Paulus, sondern zu Petrus hat Christus gesprochen: „Auf diesen Felsen will Ich Meine Kirche bauen“ (Mt 16,18). Nicht zu Paulus, sondern zu Petrus hat Christus gesprochen: „Dir will Ich die Schlüssel des Himmelreiches geben!“ (Mt 16,19)

Nicht an Paulus, sondern an Petrus erging das Wort des Herrn: „Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht wanke. Du aber stäke deine Brüder!“ (Lk 22,32).

Wäre Paulus der erste Papst geworden, würde man sicher sagen: Das Christentum ist unter Ausnützung günstiger Zeitumstände von Paulus, diesem genial begabten Menschen, gegründet worden. Gott aber erwählte nicht bloß den weniger begabten, den weniger gebildeten Petrus für das erste Amt in der Kirche. (sondern sogar den größeren Sünder und das war Petrus gegenüber dem Paulus. Gewiss war Paulus auch ein Sünder, der den Stachel des Fleisches in sich fühlte, wie er selber im 2 Kor 12,7 schreibt; Paulus wusste auch um den Widerstreit des doppelten Gesetzes im Leib und im Geist, wie er im Röm 7,23 schreibt. IN seinem Fanatismus hat sich Saulus-Paulus von den Hohenpriestern Generalvollmacht geben lassen, um die Kirche Jesu Christi zu zerstören; es trieb ihn dazu blinder Eifer für die Satzungen seiner Väter, wie er selber wieder schreibt in seinem Gal 1,13f.

Und doch war wohl die Schuld des Petrus größer, der lange Jahre in der Schule des göttlichen Meisters war und trotz allem den Herrn dreimal verleugnete.

Und dennoch wurde Petrus für das erste Amt in der Kirche bestimmt. Geheimnisvolle Wahl, die der Gottmensch Jesus Christus getroffen hat, der dem Petrus nicht bloß die dreimalige Verleugnung verziehen hat, sondern nach dem dreimaligen Liebesversprechen die Oberste Hirtengewalt über die Lämmer und Schafe in der Kirche übertragen hat.)

2. Recht verschieden sind auch die Wege der beiden Apostelfürsten zum Apostelamt verlaufen:

Simon, der Sohn des Jonas, wurde vom Fischerboot am Strand des galiläischen Meeres zur Nachfolge Jesu berufen. Drei Jahre war er dann an der Seite des Meisters, bei allen Predigten und Privatunterweisungen, bei allen Wundern und Offenbarungen der Gottheit Jesu Christi, sogar auf dem Berg der Verklärung und am Ölberg war Petrus dabei. Petrus war dann auch Augenzeuge der Himmelfahrt Christi und der Sendung des Hl. Geistes am Pfingstfest.

Paulus hingegen hat die dreijährige Apostelschule an der Seite des göttlichen Meisters nicht durchgemacht. Erst nach Ostern und Pfingsten, als Petrus sich schon als Menschenfischer betätigt hatte (und Stefanus schon als erster Märtyrer für Christus sein Leben gelassen hatte), schlug für Saulus-Paulus die Damaskusstunde. Erst nun wurde aus dem reißenden Wolf aus dem Stamme Benjamin ein Apostel. Paulus selbst schreibt da in seinem Gal 1,15-17: „als es Ihm, der mich berufen hatte, gefiel, seinen Sohn mir zu offenbaren..., bin ich nicht gleich nach Jerusalem gegangen zu denen, die vor mir Apostel waren, sondern ich ging nach Arabien“. Dort in der Einsamkeit der arabischen Wüste wurde Paulus in geheimnisvollen Privatoffenbarungen zum Apostel geschult.

Die Wege der beiden Apostelfürsten zum Apostolat waren verschieden, das Ziel des Weges aber war bei beiden das gleiche. Beide kannten schließlich nichts anderes mehr als Jesus, den Gekreuzigten, für den sie ihre ganze Schaffenskraft und zuletzt Blut und Leben einsetzten und hingaben.

Beide, Petrus genauso wie Paulus, waren „von Christus ergriffen“ (Phil 3,12), beide, Petrus genauso wie Paulus, konnten von sich sagen: „Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir!“ (Gal 2,20). Beide, Petrus genauso wie Paulus, waren entschlossen, für Christus und sein Reich durch das Feuer der Verfolgung zu gehen (1 Petr 4,12). Petrus, der zum Menschenfischer geworden war, hätte am liebsten in seinem Netz die ganze Menschheit für Jesus Christus gewonnen. Paulus, der Zeltmacher, hätte am liebsten unter seinem Zelt die ganze Menschheit für Christus versammelt.

Wer hat von den beiden mehr für Christus geglüht? Es ist schwer zu sagen. Wer von den beiden hat die größere Bedeutung für die Kirche? Es ist ebenfalls schwer zu sagen. Jeder der beiden hat in seiner Art eine ganz gewaltige Aufgabe und Bedeutung für die Kirche gehabt.

Beide haben auch einander in ihrer jeweils verschiedenen apostolischen Aufgabe anerkannt: Niemals hat Paulus dem Felsenmann Petrus den Primat in der Kirche und ihrer Leitung streitig gemacht, im Gegenteil Paulus hat ganz klar die Vorrangstellung des Petrus anerkannt. Paulus schreibt da im Gal 1,18: „Drei Jahre nach meiner Bekehrung zog ich nach Jerusalem, um Petrus zu sehen und blieb bei ihm 15 Tage.“ (Bedenken wir: Die ersten Christen und wohl auch die Apostel waren anfangs dem Paulus gegenüber, der nicht durch die Schule des göttlichen Meisters gegangen war, zurückhaltend und sogar misstrauisch. Vielleicht fürchteten sie, dass die Bekehrung des Paulus etwa gar nur Schein und Heuchelei war. Vielleicht war er noch der alte Wolf, der sich das Lammfell eines Apostels umgeworfen hatte, um seine Opfer auskundschaften zu können? Unter dem seelischen Druck dieses Misstrauens zog Paulus nach Jerusalem, „um Petrus zu sehen“ und um dann mit der Autorität des Petrus, die er voll anerkannte, alle Vorurteile gegen sein eigenes apostolisches Wirken zu zerstreuen. Paulus kam nach Jerusalem, „um Petrus zu sehen. Und er blieb bei ihm 15 Tage“.) Was mögen damals die beiden Apostel (in diesem geheimen Konsistorium von 15 Tagen) miteinander besprochen haben? Sicher hat Paulus dem Petrus gegenüber zu allererst beteuert, er habe „sein Evangelium nicht von einem Menschen empfangen, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi“ (Gal 1,12 f). Dann aber wird Paulus dem Petrus seine innerste Gesinnung und seine lauteren Absichten dargelegt haben.

Und Petrus wird dabei die ganze Seelengröße und Auserwählung des hl. Paulus durchschaut und erkannt haben: Dieser Paulus ist kein Scheinbekehrter und Heuchler und kein Schwarmgeist (wie Simon Magus und andere falsche Apostel), er ist wirklich ein Gefäß der Auserwählung, ein Feuergeist, ein Eroberer für das Reich Gottes, ein wahrer, wirklicher Apostel. Petrus hat mit dem ganzen Gewicht seiner päpstlichen Autorität Paulus als Vollapostel, als ebenbürtigen Apostel anerkannt. (Der verstorbene Kardinal Michael Faulhaber von München hat einmal in einer Predigt gesagt: In dieser Anerkennung des Paulus als echten Apostel liege für ihn die erste Kundgebung des unfehlbaren Lehramtes des Petrus. Denn in den Gassen von Jerusalem forderte man damals den Tod des Saulus-Paulus. Bei den ersten Christen herrschte Misstrauen gegen Saulus-Paulus. Es war sogar eine Spaltung, ein erstes Schisma zu befürchten.) Petrus stellte dem Paulus das Zeugnis eines wirklichen Apostels aus, ohne sich um das Geschrei der Gasse oder um die Stimmung der Masse zu kümmern. Auch das hat dem Petrus nicht Fleisch und Blut geoffenbart.

Es kam dann 14 Jahre später zu einer zweiten Begegnung von Petrus und Paulus auf dem Apostelkonzil in Jerusalem. (Auch darüber berichtet Paulus in seinem Gal 2,1f: „Vierzehn Jahre später zog ich wieder nach Jerusalem hinauf...einer Offenbarung folgend und legte ihnen (den anderen Aposteln) das Evangelium vor, das ich unter den Heiden verkünde, besonders denen, die in Ansehen standen, um nicht ins Leere zu laufen oder gelaufen zu sein.“) Auch hier anerkannte Paulus wieder den Primat des Petrus und anerkannte die Beschlüsse dieses ersten Konzils.

Ein letztes Mal begegneten die beiden Apostel Petrus und Paulus einander. Diesmal in Rom. In der Hauptstadt des römischen Weltreiches hatte Petrus die Christengemeinde gegründet und war Bischof von Rom geworden. Paulus aber kam wenig später auch nach Rom, nachdem er sich in einem kostbaren Brief, im Brief an die Römer, dort angesagt hatte. Als Weltapostel wollte er auch in der Weltstadt Rom für Christus Zeugnis ablegen.

Dort in Rom sind dann beide Apostel den Märtyrertod für Christus gestorben: Petrus wurde in Ketten in den Circus des Nero geführt, um da gekreuzigt zu werden. Paulus wurde außerhalb Roms an der Straße nach Ostia enthauptet, weil er als römischer Bürger gesetzlich nicht gekreuzigt werden durfte.

Damals löste Petrus sein Wort, das er beim Letzten Abendmahl Christus gegeben hatte, ein: „Herr, ich bin bereit, mit dir in den Tod zu gehen!“ (Lk 22,33) Damals löste Paulus sein Wort ein, das er in seinem Röm 8,35 geschrieben hatte: „Was kann uns trennen von der Liebe Christi? Trübsal oder Bedrängnis oder Verfolgung oder Schwert?“

Damals wurde Rom mit dem Blute der Apostelfürsten wie mit fürstlichem Purpur bekleidet. Die Gräber von Romulus und Remus, den beiden Gründern Roms, sind vergessen, die Gräber von Petrus und Paulus aber werden bis zum Ende der Geschichte in Ehren bleiben. Halten wir Rom die Treue, dem Petrus und seinem Nachfolger, dem Paulus und seiner Lehre. Amen.